Wie können wir uns klimafreundlicher ernähren? Die Lieferkette vom Lebensmitteleinzelhandel bis zu den Landwirten
15. Januar 2025Über ein Viertel (26 %) aller weltweiten CO2-Emissionen werden durch die Lebensmittelproduktion verursacht.
Das hört sich zuerst einmal nach sehr viel an – andererseits gehören Essen und Trinken zu den grundlegenden Bedürfnissen der menschlichen Existenz. Wir können darauf nicht einfach verzichten wie auf eine Flugreise oder das neueste Handy. Welche Akteure bei der Produktion von Lebensmitteln beteiligt sind und welche Stellschrauben es im Hinblick auf die Dekarbonisierung in der Lebensmittelbranche gibt, erläutern wir in diesem Artikel.
Emissionen in der Lebensmittelproduktion
Um Emissionen reduzieren zu können, müssen wir verstehen, wo und wie diese entstehen. Ein grober Überblick sieht wie folgt aus:
- Der Anbau von Kulturpflanzen für Mensch und Tier als auch die Haltung und Zucht der Nutztiere sind verantwortlich für über 50 % der Emissionen im Agrarbereich.
- Knapp ein Viertel der Gesamtemissionen stammen aus dem sogenannten „Landnutzungswandel“ (LUC), das heißt meist aus der Rodung von natürlichen Urwäldern, um dort Futter für die Tierhaltung oder Agrarprodukte für den menschlichen Verzehr anzubauen.
- Schlussendlich verursachen die Verarbeitung der landwirtschaftlichen Produkte, Transport, Verpackung und Handel die restlichen Emissionen im Lebensmittelbereich.
Quelle: Grafik ClimatePartner
Reduktionen, aber wie?
Was können wir also tun, um sowohl die CO2-Emissionen zu reduzieren als auch weiterhin eine ausreichende Versorgung mit sicheren, gesunden und schmackhaften Lebensmitteln zu gewährleisten?
Mit dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH), den Produzenten als Hersteller von handelbaren Produkten und den Landwirten als eigentliche Erzeuger der Lebensmittel gibt es drei Stufen der Wertschöpfung, und für jede eigene Strategien, mit den Herausforderungen des Klimawandels umzugehen.
Der Lebensmitteleinzelhandel
Der LEH spielt eine entscheidende Rolle, da er die Verbindung zwischen den Produzenten und Konsumenten darstellt.
Zu Beginn einer jeden Klimareise schafft ein vollständiger CO2-Fußabdruck die notwendige Transparenz über die eigenen Emissionen und die der Lieferkette – und ist somit die Basis für effektive Emissionsreduktionen. Da es in der Natur von Handelsunternehmen liegt, Produkte mit hoher Frequenz zu kaufen und zu verkaufen, und jedes gehandelte Produkt sich in der Klimabilanz wiederfindet, hat der LEH relativ große CO2-Fußabdrücke. Der Fokus der Berechnung dieser Emissionen liegt in der Scope 3 Kategorie, ist in der Regel komplex und braucht ein gutes Zusammenspiel zwischen den Einkaufsabteilungen und dem Berechnungs-Dienstleister. Der Großteil der LEH-Unternehmen werden aufgrund ihrer Unternehmensgröße in den nächsten Jahren zudem im Rahmen der EU-Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) berichtspflichtig, sodass die jährliche Berechnung des vollständigen CO2-Fußabdrucks bzw. dessen Offenlegung zur gesetzlichen Pflicht wird.
Unternehmen der Lebensmittelbranche fallen des Weiteren meistens unter die besonderen Berechnungsregeln des FLAG-Sektors: FLAG steht dabei für „Forest, Land and Agriculture“ und bedeutet, dass die Emissionen zusätzlich verschiedenen Unterbereichen der Landbearbeitung und -nutzung zugeordnet werden müssen. Unter anderem wird dadurch erst ersichtlich, wieviel Emissionen ein Produkt aufgrund von Landnutzungsänderungen verursacht. Rindfleisch aus Südamerika verursacht beispielsweise deshalb so viele Emissionen, da für das Futter der Rinder häufig natürliche Urwälder gerodet werden. Diese Transparenz braucht es unter anderem für den Umstieg auf entwaldungsfreie Lieferketten.
Die meisten europäischen Unternehmen im LEH haben sich inzwischen zudem ein wissenschaftsbasiertes Ziel für Emissionsreduktionen nach den Regeln der Science-based Targets initiative (SBTi) gesetzt und sich dieses auch validieren lassen. Die SBTi ist eine NGO, die mit den weltweit anerkannten Berichten des Weltklimarates (IPCC) als Grundlage industrie-spezifische Emissionsreduktionspfade aufgestellt hat. Die gesetzten Ziele kann jeder Interessierte auf dem Dashboard der SBTi nachschauen: https://sciencebasedtargets.org/target-dashboard. Auch alle großen deutschen Retailer kann man dort mit ihren Zielen finden.
Beratungsunternehmen wie ClimatePartner unterstützen den LEH bei dem Entwickeln und Setzen von solchen wissenschaftsbasierten Klimazielen. Hierbei muss jedes Unternehmen ambitionierte Ziele über einen Zeitraum von 5-10 Jahren definieren – und kann sich zudem optional für ein Net-Zero Ziel bis spätestens 2050 verpflichten. Entscheidend für den Erfolg dieser Ziele ist die Integration der Emissionen der eigenen Lieferkette (also Scope 3). Damit übernimmt der LEH Verantwortung für diese Emissionen und arbeitet zusammen mit den Lieferanten an deren Senkung.
Relevante Emissionsreduktionen können beim LEH in den eigenen Filialen und in der eigenen Logistik inkl. den eigenen Distributionszentren erzielt werden. Ein besonderer Fokus liegt hier auf einer emissionsarmen Wärme- und Kälteproduktion, Erzeugung und Bezug von Grünstrom sowie einer schrittweisen Elektrifizierung des Transports. Für die Erreichung der gesetzten Klimaziele ist jedoch eine Emissionsreduktion „weiter oben in der Lieferkette“ – also bei den Produzenten – entscheidend, da der Schwerpunkt der Emissionen des LEH bei den eingekauften Gütern liegt.
Produzenten
Die meist mittelständischen Produzenten spielen eine entscheidende Rolle in der Lebensmittelbranche, da sie aus den landwirtschaftlichen Erzeugnissen der Landwirte handelbare Produkte für die Retailer herstellen.
Wie beim LEH steht auch hier die Transparenz über die eigenen Emissionen mittels vollständiger und qualitativ hochwertiger Klimabilanzen stets am Anfang. Je detaillierter die Status-Quo-Analyse ist, desto genauer können hinterher Hot Spots identifiziert und Möglichkeiten zur Emissionsreduktion erarbeitet werden. ClimatePartner ermittelt die Emissionen mit sogenannten Aktivitätsdaten: Neben den Energieverbräuchen in der Produktion werden die Herkunftsländer und Anbaumethoden von eingekauften Zutaten sowie auch die genauen Transportwege und -arten zur Berechnung der Emissionen herangezogen.
Nach der Emissionsmessung und der Zielsetzung ist der entscheidende Schritt, nämlich die tatsächliche Emissionsreduktion, dran. Auch bei den Produzenten stehen hier am Anfang die eigenen Produktions- und Logistikprozesse. Wie beim LEH ist aber auch bei den Herstellern der Einkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Scope 3 meistens die größte Emissionsquelle.
In Reduktionsprojekten entwickeln Beratungsunternehmen mit den Produzenten detaillierte Maßnahmenpläne, wie sowohl die eigenen als auch die „eingekauften“ Emissionen reduziert werden können. Bei Molkereien verursacht beispielsweise die eingekaufte Milch mit Abstand die meisten Emissionen. Aber auch zusätzliche Zutaten wie Zucker, Kakao und Früchte treiben die Emissionen nach oben.
Durch einen regionaleren Bezug der Produkte können lange Transportwege entfallen, was sich positiv auf das Klima auswirken kann. Man muss allerdings genau hinsehen. Denn beheizte Gewächshäuser in Deutschland sind häufig klimaschädlicher als der Anbau in Südeuropa inklusive des Transportes nach Deutschland. Für einen Bezug von europäischen Landwirten spricht auch, dass hier so gut wie keine Emissionen aus Landnutzungsänderungen entstehen – aber auch nur, wenn Kühe zum Beispiel nicht mit Soja aus Südamerika gefüttert werden. Bei solchen Reduktionsprojekten gibt es somit komplexe Fragestellungen, die nur dank einer engen Zusammenarbeit mit den Lieferanten und aktivitätsbasierten Daten zu beantworten sind.
Bei den Produzenten aus dem Fleisch- und Milchsektor stellt sich langfristig zudem die Frage, inwieweit emissionsärmere, pflanzliche Produkte teilweise tierische Produkte ersetzen können und werden. Gesellschaftliche Trends mit sich wandelnden Präferenzen der Konsumenten werden hier einen entscheidenden Faktor darstellen.
Landwirte
Ganz am Anfang der Lieferkette stehen die Landwirte, die offensichtlich eine Schlüsselposition innehaben: Die meisten Emissionen in der Lieferkette entstehen auf dem landwirtschaftlichen Betrieb, und können auch am besten durch die Landwirte beeinflusst werden.
In enger Zusammenarbeit zwischen den Produzenten und Landwirten können Themen wie Bodenbearbeitung, Düngung und Pflanzenschutz aus Emissionssicht optimiert werden. In der Milchwirtschaft verbessern zum Beispiel methan-reduzierende Futtermittelzusätze die Klimabilanz erheblich. Auch kann durch reduzierte Bodenbearbeitung zusätzlich CO2 dauerhaft im Boden gespeichert werden. Ein Potential, um langfristig Net-Zero zu erreichen. Bei diesen sehr „bodennahen“ Themen kooperiert ClimatePartner mit Klim. Klim arbeitet auf der einen Seite direkt mit über 3.500 Landwirten, um sie bei ihrer regenerativen Transformation zu unterstützen. Auf der anderen Seite hilft Klim z.B. Lebensmittelunternehmen dabei, ihre Lieferketten resilient zu gestalten und so ihre Scope-3-Emissionen zu reduzieren. Auf diese Weise wird die globale Ernährungssicherheit verbessert, ein großer Beitrag zum Klimaschutz geleistet und die Biodiversität gestärkt.
Analog zum LEH sind auch auf dem Bauernhof der vermehrte Einsatz von Grünstrom und eine schrittweise Elektrifizierung von bisher mit fossilen Brennstoffen betriebenen Maschinen und Anlagen wichtige Stellschrauben zur Emissionsreduktion.
Entscheidend für eine langfristig erfolgreiche Emissionsreduktion auf dem Bauernhof ist aber noch etwas anderes: Da die meisten CO2-sparenden Maßnahmen mit höheren Kosten verbunden sind, können sie nur umgesetzt werden, wenn die Landwirte dafür entsprechend fair vergütet werden. Zusätzlich braucht es für die grüne Transformation aber auch die Rückendeckung seitens der Politik. Das Potsdam Institute for Climate Impact Research hat vor wenigen Tage eine neue Studie veröffentlicht. Das zentrale Ergebnis: Durch eine Klimaabgabe auf Lebensmittel könnten nicht nur die Treibhausgasemissionen in der deutschen Landwirtschaft gesenkt, sondern auch ein soziales Gleichgewicht gewährleistet werden.
Fazit
Zusammenfassend wird klar, dass es viele Möglichkeiten gibt, die Emissionen in der Landwirtschaft zu reduzieren – es aber auch ein sehr komplexes Gebiet ist, bei dem viele Akteure langfristig eng zusammenarbeiten müssen. Dabei geht es neben der ausreichenden Versorgung mit sicheren Lebensmitteln auch immer um langfristig für alle kommerziell tragfähige Lösungen.
Neben den professionellen Akteuren haben schlussendlich auch die Verbraucher eine Schlüsselrolle inne: Durch nachhaltige Konsumentscheidungen haben sie einen großen Einfluss auf die Klimafreundlichkeit der Lebensmittelproduktion und können diese durch ihr Kaufverhalten hinsichtlich Auswahl und Zahlungsbereitschaft massiv fördern.
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