Der Emissionshandel wird erwachsen! Vor 20 Jahren war die Geburtsstunde des Europäischen Emissionshandelssystems.
24. Oktober 2024Von Klaus Reisinger, ClimatePartner Austria
Nach der Klimaschutzkonferenz in Kyoto im Jahr 1997 begann eine innereuropäische Diskussion darüber, wie die Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll für die EU- Mitgliedstaaten umgesetzt werden sollen. Es wurde bald die Einigung erzielt, dass ein Emissionshandelssystem am zielführendsten ist, welches zu Beginn ausschließlich für Industriebetriebe Gültigkeit haben sollte. Die Befürworter eines solchen Systems hatten folgende Argumente:
1.) Die Industrie war zu diesem Zeitpunkt hauptverantwortlich für CO2-Emissionen.
2.) Die Industrie kann die Kosten des Emissionshandels tragen beziehungsweise diese Kosten an ihre Kunden weitergeben.
3.) Die Industrie ist gut organisiert, verfügt über eine gute Datengrundlage und kann relativ gut mit bürokratischem Aufwand umgehen.
4.) Das System kann schrittweise erweitert werden. Nach und nach sollten schrittweise weitere Industriebranchen und auch kleinere und mittlere Betriebe dazukommen.
Die Tatsache, dass die EU-Emissionshandels-Richtlinie bereits im Jahr 2003 beschlossen wurde, ist durchaus als historisch zu bezeichnen, da zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, ob das Kyoto-Protokoll überhaupt in Kraft treten wird. Es handelte sich daher zunächst um einen mutigen europäischen Alleingang, welcher sich zumindest aus zwei Gründen erklären lässt: Zum einen war sich Europa seiner historischen Verantwortung am Klimawandel bewusst, schließlich trägt Europa die Hauptlast der Emissionen bis zum Beginn dieses Jahrtausends. Zum anderen ist für die Europäische Union ein Ausstieg aus den fossilen Energieträgern alternativlos, da schlichtweg keine ausreichenden fossilen Ressourcen für die Zukunft zur Verfügung stehen. Daher war der beschlossene Emissionshandel ein tauglicher Versuch, den laufenden Devisenabfluss in den Nahen Osten (hauptsächlich für Öl) oder nach Russland (hauptsächlich für Gas) zu verringern und dabei gleichzeitig ein klares Bekenntnis für erneuerbare heimische Energieträger abzugeben.
Der naturwissenschaftliche Hintergrund des Emissionshandels liegt in der langen Verweildauer von CO2 und anderen Treibhausgasen in der Atmosphäre. CO2 verweilt durchschnittlich mehr als 100 Jahre in der Atmosphäre, daher ist es unerheblich, an welcher Stelle auf der Erde CO2 emittiert wird. Befindet sich das CO2-Molekül erst einmal in der Atmosphäre, wird es dort von Winden ziemlich gleichmäßig über den ganzen Globus verteilt. Dies hat zur Folge, dass die CO2-Konzentration überall in der Welt einen ähnlichen Wert aufweist, lediglich geringe jahreszeitliche und geografische Unterschiede sind zu beobachten. Aufgrund dieser Tatsache kann festgestellt werden, das CO2-Emissionen unabhängig von ihrem Ausgangspunkt den Klimawandel weiter beschleunigen.
2003 wurde das weltweit größte "Cap and Trade"-Emissionshandelssystem beschlossen. Bereits zu Beginn umfasste das System 30 Länder, da neben den EU-Mitgliedsstaaten auch Island, Norwegen und Liechtenstein beitraten. In Summe waren daher bereits zu Beginn des Jahres 2005 mehr als 11.000 Industrieanlagen und Kraftwerke betroffen. Die Emissionshandelsrichtlinie regulierte etwa die Hälfte der CO2-Emissionen der Europäischen Union.
Die Funktionsweise des Systems hat sich seit damals nicht verändert: Die Politik setzt für die betroffenen Betriebe eine Obergrenze von CO2-Emissionen fest. Diese Obergrenze leitet sich im Wesentlichen von der Verpflichtung ab, welche die EU selbst im Rahmen ihrer internationalen Vorgaben einzuhalten hat. Diese Obergrenze darf dann in Summe von den betroffenen Industrieunternehmen nicht überschritten werden. Innerhalb dieser Grenze soll jedoch eine größtmögliche Flexibilität angeboten werden, um die CO2-Emissionen zuerst dort reduzieren zu können, wo die Vermeidungskosten am geringsten sind.
Bei einem solchen System bekommt jede Anlage eine bestimmte Menge an Emissionsberechtigungen zugeteilt, die zur Emission von einer Tonne CO2 berechtigt. Stößt die Anlage mehr aus, müssen zusätzliche Berechtigungen zugekauft werden. Stößt die Anlage weniger aus, können die übrig gebliebenen Zertifikate verkauft werden. Der Handel der rein elektronischen Emissionsberechtigungen erfolgt über Börsen, Makler oder "over the counter", also direkt zwischen den betroffenen Industriebetrieben.
Inzwischen gehört die EU-Emissionshandelsrichtlinie zu einem der wesentlichen Eckpfeiler der Europäischen Klimaschutzpolitik und des Green Deals. Über die Laufzeit von 20 Jahren wurde die Richtlinie mehrmals verändert und befindet sich gegenwärtig in ihrer vierten Phase, die bis zum Jahr 2030 andauern wird.
Wichtig ist jedoch, dass der Handel mit Emissionsberechtigungen selbst noch keine Reduktionen bedeutet. Dies wird erst durch eine Investition in Klimaschutzprojekte, die Emissionen reduzieren, vermeiden oder entfernen, ermöglicht. Daher braucht es zusätzlich zum Emissionshandel einen Markt für Einsparungsprojekte. Das eine System (Emissionshandel) soll garantieren, dass die Gelder dort verwendet werden, wo die meiste Wirkung erzielt wird und das andere (Einsparungsprojekte) soll gewährleisten, dass laufend tatsächliche Reduktionen stattfinden.
Die EU-Emissionshandelsrichtlinie stellt einen Meilenstein der Klimaschutzgeschichte dar. Es ist positiv festzustellen, dass mehr als die Hälfte der EU-Emissionen innerhalb einer Richtlinie kontrolliert werden können und es dadurch nicht möglich ist, dass die Emissionen “aus dem Ruder laufen”. Kritisch betrachtet muss jedoch angemerkt werden, dass der Markt zwar funktioniert, aber wenige bis gar keine emissionsmindernden Projekte in den Industriebetrieben umgesetzt wurden. Daher braucht es neben einem verpflichtenden Markt für die Industrie, einen freiwilligen Markt für Klimaschutzprojekte, der auch kleineren und mittleren Betrieben die Möglichkeit bietet, globalen Klimaschutz finanziell zu unterstützen.
In diesem Sinne wünscht ClimatePartner der Emissionshandelsrichtlinie alles Gute zum 20er. Wir fügen aber gerne hinzu, dass die Redewendung „ad multos annos“ diesmal keine Bedeutung haben soll. Denn in unserer Wunschvorstellung sollten in weiteren 20 Jahren CO2-Emissionen bereits der Vergangenheit angehören. Wir wünschen daher, dass sich die Emissionshandelsrichtlinie aufgrund des großen Erfolges zu diesem Zeitpunkt schon selbst abgeschafft hat.