Moritz Lehmkuhl: Der Begriff "klimaneutral" als Auslaufmodell?
16. August 2023Der Begriff "klimaneutral" als Auslaufmodell?
Ein Meinungsbeitrag von Moritz Lehmkuhl, Gründer und CEO von ClimatePartner
„Ganze Städte wollen klimaneutral werden, die Bundesregierung hat sich dieses Ziel bis 2045 gesetzt, Veranstaltungen wie das Oktoberfest haben Pläne zur Klimaneutralität und immer mehr Unternehmen befinden sich auf dem Weg zur Netto-Null.
Aber was bedeutet ‚klimaneutral‘ denn eigentlich und wie ist diese ‚Klimaneutralität‘ zu erreichen? Geprägt wurde der Begriff von verschiedenen Wissenschaftler:innen und Institutionen wie dem Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) und er fand bereits 1997 Einzug in das Kyoto-Protokoll. Das Europäische Parlament definiert Klimaneutralität beispielsweise so: Klimaneutralität bedeutet, ein Gleichgewicht zwischen Kohlenstoffemissionen und der Aufnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre in Kohlenstoffsenken herzustellen. Mit diesen Senken sind unter anderem Wälder, Böden oder Ozeane gemeint.
Darüber hinaus gibt es auch Technologien, die Emissionen nicht nur binden, sondern auch reduzieren, beispielsweise durch den Aufbau von erneuerbaren Energiequellen. Oder es kommen Klimaschutzprojekte zum Einsatz, die zusätzlich auch sozialen Nutzen bringen, wie beispielsweise der Einsatz von sauberen Kochöfen. Es braucht also auch technische Innovationen und vor allem viel Engagement von Seiten der Wirtschaft und auch von den Verbraucher:innen, um unsere Emissionen insgesamt zu reduzieren.
Eine entscheidende Rolle spielen dabei Unternehmen. Denn ohne deren Engagement, den Klimaschutz als freiwilliges Element in die Unternehmensstrategie einzubinden, werden wir nicht die nötige Geschwindigkeit erreichen, die es für ein 1,5-Grad-Ziel braucht.
Warum aber werden Unternehmen im Gegensatz zu beispielsweise Städten mit einer ähnlichen Zielsetzung genau für dieses Engagement immer häufiger kritisiert? Ich kann nur mutmaßen. Mit ClimatePartner begleiten wir Unternehmen bereits seit etwa 20 Jahren dabei, Klimaschutzstrategien aufzusetzen. Genau wie die Wissenschaft neue Erkenntnisse zum Klimawandel teilt, entwickeln auch wir uns dabei immer weiter. Nachdem ClimatePartner zunächst als reines Beratungsunternehmen gestartet war, wurde in den letzten Jahren der Ausgleich von Emissionen über eine Finanzierung von Klimaschutzprojekten immer relevanter. Heute umfasst unser Geschäftsmodell allerdings noch viele weitere Aspekte. Wir berechnen die Carbon Footprints für Unternehmen und Produkte, beraten bei der Umsetzung von Reduktionen und helfen ihnen dabei, langfristige und wissenschaftsbasierte Reduktionsziele zu erarbeiten. Und die Impulse dazu entstehen dabei auf beiden Seiten: Nicht nur wir gehen damit auf Unternehmen zu, sondern auch die Unternehmen selbst teilen ihre Gedanken und Anforderungen mit uns. Dass es Unternehmen also nur um ein sogenanntes Greenwashing gehen würde, ist ein oft vorgebrachter, pauschaler Vorwurf, der meiner Erfahrung nach absolut nicht haltbar ist.
Trotzdem: Nicht alle Unternehmen wollen den Klimaschutz aus einer rein intrinsischen Motivation heraus in ihrer Strategie verankern. Natürlich muss der grundsätzliche Wille da sein, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Aber Unternehmen verfolgen solche Pläne auch, weil sie ihre Kund:innen nicht verlieren wollen. Verbraucher:innen haben heute ein viel größeres Bedürfnis nach nachhaltigem Konsum. Und das sollte uns in erster Linie positiv stimmen. Dass Unternehmen sich in ihrer Produktentwicklung, in ihrer strategischen Ausrichtung oder in ihrer Marketing-Ansprache entlang dieser Zielgruppenbedürfnisse ausrichten – ich persönlich habe damit kein Problem. Erst recht nicht, wenn dies unter dem Strich dazu führt, dass Maßnahmen verfolgt werden, die zum Klimaschutz beitragen und Verbraucher:innen eine Orientierungshilfe bekommen, um nachhaltiger zu handeln. Denn die Zeit drängt und wir müssen Unternehmen dazu bewegen, dass sie den Klimaschutz als integralen Bestandteil über alle Unternehmensbereiche hinweg integrieren – auch unter Berücksichtigung ihrer Lieferketten. Nur wenn uns das gelingt, erreichen wir die Geschwindigkeit, die wir im Kampf gegen den Klimawandel brauchen.
Der Begriff ‚klimaneutral‘, so viel kritische Betrachtung muss allerdings auch sein, ist in den letzten Jahren immer mehr zum Trend geworden. Faktisch ist er immer noch richtig und beschreibt besser als jeder andere Begriff, was Unternehmen leisten, um nachhaltiger zu wirtschaften. Trotzdem wurde er zu inflationär genutzt, für die Nutzung des Begriffs unterschiedliche Maßstäbe angesetzt und zu den Hintergründen, wie die Klimaneutralität jeweils erreicht wurde, auch nicht immer genügend Informationen bereitgestellt. Verbraucher:innen ist somit eben genau diese wichtige Orientierungshilfe abhandengekommen.
Es lässt sich rein über diesen Begriff nicht mehr unbedingt erkennen, ob und welche Emissionen für ein Produkt ausgeglichen wurden, ob auch Reduktionen umgesetzt wurden und ob ein Unternehmen eine Klimaschutzstrategie langfristig verfolgt oder nur auf einzelne Produkte anwendet.
2019 wurde das Projekt ISO-Norm 14068 initiiert, um sich genau diesem Thema anzunehmen: der Definition von international geltenden Anforderungen und Grundsätzen, die bei der Nutzung des Begriffs ‚Klimaneutralität‘ nachzuweisen sind. Allerdings hat das Projekt die reguläre Laufzeit von drei Jahren bereits überschritten und die Veröffentlichung der Ergebnisse ist wiederholt verschoben worden – zuletzt auf Ende 2023 bis Anfang 2024. Verbindliche Definitionen und Regeln fehlen daher nach wie vor.
Wir sind bei ClimatePartner davon überzeugt, dass Transparenz der Schlüssel ist. In unseren Labeln, die wir Unternehmen zur Kommunikation zur Verfügung stellen, sind Links und QR-Codes integriert, die einen tieferen Einblick zum freiwilligen Klimaschutzengagement geben.
Seit April gehen wir sogar noch einen Schritt weiter und muten sowohl den Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten, als auch den Verbraucher:innen im Sinne des Klimaschutz mehr zu: Wir lösen uns von unserem bisherigen Label ‚klimaneutral‘, das nach einer Übergangszeit auslaufen wird und bieten künftig Label an, die eben nicht mehr claimbasiert sind. Nutzer des Labels ‚ClimatePartner-zertifiziert‘ bestätigen damit, dass sie nicht nur Klimaschutzprojekte finanzieren, sondern nachweislich bereits Reduktionen umgesetzt und sich langfristige Reduktionsziele gesetzt haben. Welche das genau sind, lässt sich detailliert auf der weiterführenden Climate-ID-Webseite für das jeweilige Produkt oder Unternehmen nachlesen. Das andere Label ‚Finanzieller Klimabeitrag‘ kann von den Unternehmen genutzt werden, die noch am Anfang ihrer Klimaschutzreise stehen und nach der Berechnung ihres Carbon Footprints in Klimaschutzprojekte investieren. Gerade unser Herzstück-Label ‚ClimatePartner-zertifiziert‘ fordert also mehr von den Unternehmen, aber eben auch von Verbraucher:innen: Sie sind gefordert sich über die weitere Verlinkung zu informieren, wenn sie individuell bewerten wollen, ob das Engagement eines Unternehmens für sie ausreichend ist.
Ich bin davon überzeugt, dass wir durch die immer größer werdende Präsenz von Klimaschutzthemen heutzutage eine solche detailliertere und faktenbasierte Kommunikation auch zumuten können. Mit unserem bisherigen ‚klimaneutral‘-Label haben wir selbst auch einen Beitrag zu dieser Präsenz geleistet und damit auch zu mehr Wissenstransfer von Unternehmen zu Verbraucher:innen und vor allem zu noch mehr Engagement im Klimaschutz beigetragen. Jetzt ist es Zeit für den nächsten Schritt: Unser Ziel ist es, mit ‚ClimatePartner-zertifiziert‘ den Klimaschutz immer stärker als wichtigen strategischen Baustein in möglichst vielen Unternehmen zu verankern.“
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Portrait Moritz Lehmkuhl
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